Lyrik / Ein kleiner Einblick

Reim, Rhythmus und das verdichtete Wort

Die Mauthausenkantate

Lyrik: Iakovos Kambanellis
Musik: Mikis Theodorakis

Wenn der Krieg vorüber ist

Wenn der Krieg vorüber ist

 

Mädchen mit den angsterfüllten Augen,
Mädchen mit den erfrorenen Händen,
wenn der Krieg vorüber ist,
vergiss mich nicht.

Freude der Welt, komm zum Tor!
Auf dass wir uns auf dem Weg küssen und
einander umarmen auf dem Platz!

Mädchen mit den angsterfüllten Augen,
Mädchen mit den erfrorenen Händen,
wenn der Krieg vorüber ist,
vergiss mich nicht.

Wir wollen einander lieben im Steinbruch,
in den Gaskammern,
auf den Wachtürmen und auf der Treppe.

Mädchen mit den angsterfüllten Augen,
Mädchen mit den erfrorenen Händen,
wenn der Krieg vorüber ist,
vergiss mich nicht.

Einander lieben am helllichten Tag,
auf allen Stätten des Todes,
bis sein Schatten entweicht.

Andonis

Andonis

 

Dort auf der breiten Treppe,
auf der Treppe der Tränen,
im tiefen „Wiener Graben“,
im Steinbruch der Klagen.

Dort laufen Juden und Partisanen,
stürzen Juden und Partisanen,
schleppen Steine auf dem Rücken,
Steine, Zeichen des Todes.

Dort hört Andonis die Stimme,
hört die Stimme sagen:
Kamerad, oh Kamerad,
hilf mir die Treppe hinauf!

Doch dort auf der breiten Treppe,
auf der Treppe der Tränen,
ist solche Hilfe Schande,
ist solch Mitleid Fluch.

Der Jude stürzt auf der Treppe,
die Treppe färbt sich rot.
„Und du, mein Junge, komm mal her,
schlepp jetzt einen doppelt so großen Stein.“

„Ich nehm‘ einen zweimal, dreimal so großen.
Mich, mich nennt man Andonis,
und bist du ein Mann, komm her!
Hierher auf den marmornen Dreschplatz.“

Der Flüchtling

Der Flüchtling

 

Janos Beer aus dem Norden
erträgt nicht länger den Stacheldraht.
Er fasst sich ein Herz, ihm wachsen Flügel,
er rennt durch die Dörfer im Tal.

Frau, gib mir Brot
und andere Kleidung.
Ich hab einen weiten Weg vor mir,
über Seen muss ich fliegen.

Wo er geht und steht,
regieren Furcht und Schrecken
und jene Stimme, jene grausame Stimme:
Haltet euch von dem Flüchtling fern!

Ich bin kein Mörder, ihr Christen,
kein Ungeheuer, das euch frisst.
Ich floh aus der Gefangenschaft
und will nach Hause gehen.

Ach, welch tödliche Ödnis
im Land von Berthold Brecht.
Janos übergeben sie der SS,
zur Hinrichtung bringen sie ihn.

Das Hohelied

Das Hohelied

 

Wie schön doch meine Liebste ist,
in ihrem Alltagskleid,
mit einem Kämmchen im Haar.
Es wusste keiner, dass sie so schön ist.
Es wusste keiner, dass sie so schön ist.

Ihr Mädchen aus Auschwitz,
ihr Mädchen aus Dachau,
habt ihr meine Liebste nicht gesehen?

Wir sahen sie auf einer langen Reise,
sie trug ihr Kleid nicht mehr,
auch kein Kämmchen im Haar.

Wie schön doch meine Liebste ist,
zärtlich gehegt von ihrer Mutter
und liebkost mit Küssen ihres Bruders.
Es wusste keiner, dass sie so schön ist.
Es wusste keiner, dass sie so schön ist.

Ihr Mädchen aus Mauthausen,
ihr Mädchen aus Bergen-Belsen,
habt ihr meine Liebste nicht gesehen?

Wir sahen sie auf einem eisigen Platz,
mit einer Nummer auf ihrem weißen Arm,
mit einem gelben Stern an ihrem Herzen.

Erinnerungen an eine Zeit in Wien

Vier Gedichte

#Sperlgasse

#Sperlgasse

 

Ich hatte keine Glastüren,
nicht diese lichten, leichten.
Nein, die schweren, dunklen,
die das Licht nach draußen verbannten,
die nicht öffnen wollten,
weder Blick noch Körper,
nicht um Einlass baten,
ihn verwehrten.

Sie waren mein Entrée in die Welt.
Sie waren Aufforderung zum Zögern,
zum Luftholen, zum Tasten, zum Herantasten,
zum Überwinden, zum Sich-dagegen-sperren,
zum Auf-gar-keinen-Fall-wollen,
zum Abstand jeder Öffnung,
sie verwehrend, sich verweigernd,
sich nur übermannen lassend.

Ich hatte keine Glastüren,
eben nicht die um Einlass bittenden,
nicht die begrüßenden.
Nein, die hölzernen, lackierten,
die das Dunkel hegten und liebten,
die den Körper mit ihrer Last quälten,
sich spreizten, sich rieben,
immer verschlossener wurden,
in einer solchen Zeit reifte ich,
die mich anwies, Anstrengung nur sei das Leben.

Wien, 24. 1. 2017

#Regentropfen

#Regentropfen

 

Lauter Regentropfen

fallen auf mein Fenster

fallen auf die Straße

fallen auf die Felder

fallen auf das Dach.

Lauter Regentropfen

fallen immer lauter

fallen immer schneller

fallen ganz gerade

fallen ganz flach.

Lauter Regentropfen

fallen in die Wolken

fallen in den Himmel

bis sie verschwinden

und sich die Regenwürmer winden

hinauf zum Sonnenschein.

 Wien, 1999

#In den Himmel wachsen

#In den Himmel wachsen

 

Ich hab‘ ne gepunktete Hose

und ein Streifenshirt dazu,

in der Hand eine wunderschöne Rose

und Du hörst mir zu.

Die Vögel fliegen weiter

wie das Pferd mit seinem Reiter.

Die Erde ist sowieso rund,

das weiß ich und auch mein Hund.

Die Schwalben bauen ihr Nest

nur dort, wo der Frieden sie lässt.

Die Bäume recken sich,

denn sie sehen Dich.

Drum lasst uns in den Himmel wachsen,

freut euch an uns’rem Tun,

so wie die Blumen wachsen

möchten wir das tun.

 Wien, 1998

 

#Mein Wunsch

#Mein Wunsch

Ich wünsch mir am Himmel einen rosa Stern.
Dorthin flieg ich im Traum und erkenn den Kern
allen Bittens und allen Flehens und den versteckten Saum,
der gespannt ist zwischen Glück und Grauen.

Ich wünsch mir, dort zu finden den lieben Gott,
zu verweilen an diesem schönen Ort.
Ihm dann zu sagen:
„Ich wünsch mir, für mich das Glück zu finden
und es für immer auf Erden zu binden.“

Ich wünsch mir, dass er mir dann sagt:
„Was sprichst Du, mein Kind? Flieg heim und das geschwind!
Die Menschen sind gesund und rund. Geld und Gier haben keine Macht. Die Heilung ist bereits vollbracht!“

Ich wünsch mir, dass ich ihm dann sag:
„Was sagst Du, mein Gott?
Elend und Hunger sind auf dieser Welt, Hass und Krieg regieren und Geld. Niemand findet das heile Herz, denn alles ist dunkel und voller Schmerz. In diesem Morast ist keine Pracht.
Ich brauche Dich dringend,
damit Du in den Herzen das Feuer entfachst!“

Ich wünsch mir, dass er mir dann sagt:
„Ich lass Dich nicht allein, in jedem Herzen ist mein Teil.
Mein Kind, nun komm und sieh und werde wach!
Nimm den Stern mit Dir als Gabe,
dann erübrigt sich jede Frage.“

Ich wünsch mir, dass ich dann erwach
und seh, dass er wahrlich das Paradies gebracht.
Ich lebe liebend die Welt so sehr.
Ich strebe nach Glück und das immer mehr.
Ich will nur Gutes und bin gerecht.
In meiner Hand der rosa Stern als Gabe.
Er erübrigt jede Frage.

Wien, Jänner 2006

In der Heimat

Drei Gedichte

Zum Meer

Zum Meer

 

 

Die Sonne strahlt.
Die Wolken ziehen an mir vorbei.
Die Bäume blühen.
Der Wind trägt ihren Duft über die Stadt.
Die Schatten fallen auf das Straßenpflaster.

Und ich fliege darüber hinweg,
direkt zum Meer.

Wien, 1998

Ich erinnere mich

Ich erinnere mich

 

Ich erinnere mich an diese

alten Gefühle,

die ich gelebt,

damals als Kind.

Ich fühle die,

die da waren,

in meinem Leben,

als wären sie

ein alter Spiegel,

den du nach Jahren im Keller findest.

Blind aber schön,

unsterblich,

zeigt er dir

das, was du verloren,

das, was in den Abgrund gefallen,

das, was du suchtest,

überall!

Ich hoffe,

dass nicht der letzte Schmetterling

aus deinem Herzen fliegen wird.

So wie damals tanze ich

und denke:

Dort, wo die Furcht dich findet

sagt sie dir „Gute Nacht“.

 Aber die Sonne

wird wieder scheinen!

Aus dem Griechischen, Wien, 1998

Θυμάμαι

Θυμάμαι

Θυμάμαι αυτά

τα παλιά

αισθήματα

που έζησα

σαν παιδί

Νιώθω αυτά

που ήταν

στην ζωή μου σαν

έναν παλιό καθρέφτη

που τον βρίσκεις

μετά από χρόνια

στο υπόγειο.

Θαμπός μα ωραίος

αθάνατος

σου δείχνει

αυτά που έχεις χάσει

αυτά που γκρεμιστήκανε

αυτά που

έψαξες

παντού!

Ελπίζω

να μην πετάξει

η τελευταία

πεταλούδα

έξω απ´την καρδιά σου.

Σαν τότες χορεύω

και σκέφτομαι:

Εκεί που

ο φόβος

σε βρίσκει

σου λέει καληνύχτα

μα ο ήλιος

θα βγει. Ξανά!

1998

Schach

Schach

 

Mein Gott, was willst Du von mir?

Nimm mir meine Soldaten.

Sie sollen in Zukunft für Dich kämpfen.

Nimm auch meine Geschütze.

Sie sollen alle Dir gehören.

Ich gebe Dir, ach, auch meine Königin.

Sie soll Deine Macht vergrößern.

Mein Leben fordere ich jedoch von Dir!

Ohne meine Soldaten?

Ohne mein Militär?

Nun, ich werde verlieren.

Wien, 1982